„Glauben Sie doch nicht an diesen Einstein’schen Schwindel“
von Wolfgang Harich
Auszüge aus einem Artikel von Peter Marquardt aus dem Buch Die Relativitätstheorie fällt, Seiten 261-292:
Wolfgang Harich zur Relativitätstheorie:
Die Spezielle Relativitätstheorie hat in den 100 Jahren ihres Bestehens die Gemüter aller Stände erhitzt. Die wesentlichen Gründe für den Disput sind, dass hier an den bewährten Abstraktionen von Raum und Zeit als unveränderliche Kategorie gerüttelt wurde und dass dies – nach anfänglicher Zurückhaltung – prominente Physiker
begeistert hat, die es dank ihrer Autorität geschafft haben, diese Begeisterung hinaus zu tragen ins Volk. Eine geradezu epidemische Euphorie bracht aus, die allerdings nicht darüber hinweg täuschen darf, dass es stets kritische Denker innerhalb und außerhalb der Physik gab, die sich nicht anstecken ließen. Als namhafte Vertreter der Philosophie zählten auch Nicolai Hartmann und sein Schüler Wolfgang Harich (W.H., *9.12.1923 in Königsberg, † 15.3.1995 in Berlin) zu ihnen. Harich war 1953 bis 1956 Mitherausgeber und Chefredakteur der Deutschen Zeitschrift für Philosophie, in welcher kontroverse Stimmen zur modernen Physik zur Sprache kam. Harich hat 1956 mit seiner Verhaftung politische Schlagzeilen gemacht. Für seine Opposition gegen das Ulbricht-Regime wurde er zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt, wovon er 8 Jahre verbüßen musste. Ende 1964 wurde er per Amnestie entlassen. Während seiner Haft in Bautzen standen ihm als einzige Lektüre die Grundlagen der marxistischen Philosophie (verfasst von einem Autorenkollektiv) zur Verfügung. Darin wurden auch Fragen aus der Physik des 20. Jahrhunderts behandelt, zu denen Harich in seinen „Knastnotizen“ Stellung nahm.
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“Glauben Sie doch nicht an diesen Einsteinschen Schwindel!”
Zur Auseinandersetzung mit der Physik des 20. Jahrhunderts:
Eine Rechtfertigung von Wolfgang Harich aus naturwissenschaftlicher Sicht.
„Einstein’scher Schwindel“ – ungebührlicher faux pas eines Nicht-Naturwissenchaftlers einem Jahrhundertgenie gegenüber? Dieser Paukenschlag bildet bewusst den Anfang unserer Erörterungen. Wir zitieren im Zusammenhang: Wolfgang Harich verstand von Naturwissenschaften, geschweige von moderner Physik nicht das geringste, beteiligte sich indes wie alle anderen „marxistischen“ Philosophen an dieser bornierten Kritik und blamierte sich vor der Welt. Eines Tages kam er zur Vorlesung in dem Hörsaal und sagte: „Meine Damen und Herren, glauben Sie doch nicht an diesen Einsteinschen Schwindel. Der Raum ist eine Schachtel, ohne Deckel, ohne Boden, ohne Seitenwände. Das einzige, was bei der Einsteinschen Theorie rauskommt, ist, daß Reisen verjüngt [de Luis 1996]. Wolfgang Harich war kein Naturwissenschaftler. Er verstand möglicherweise nicht viel davon. Mag sein. Dennoch: Seine Kritik ist nicht borniert und er darf sich mit ihr in guter Gesellschaft wissen, die sich durchaus nicht vor der Welt blamiert. So provozierend sein Paukenschlag auch klingen mag – man wird Wolfgang Harich nicht eines leichtfertigen und laienhaften Urteils über eine sondergleichen verehrte Theorie zeihen können. Seine klar formulierten Aussagen weisen ihn als dezidierten Denker aus.
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Hier soll keineswegs eine böswillige Attacke gegen Urheber und Verfechter umstrittener Ideen in der Physik des 20. Jahrhunderts geritten werden, wenn Harichs trotz (oder wegen?) ihrer Schärfe wohlüberlegte Äußerungen aus naturwissenschaftlicher Sicht ihre Rechtfertigung finden. Dem offiziellen Wissenschaftsbetrieb bleibt allerdings der mit einer gewissen Ironie erhobene Finger nicht erspart, da allen berechtigen Einwänden zum Trotz einige aus physikalischen Gründen unhaltbare Theorien vor einem immer noch staunenden Publikum gepriesen werden. Ohne den Bonus der Etablierten und ihre mathematischen Waffen aller Art wären die Verteidigungsstrategen der Verfechter auch von Laien schon längst als Schattenfechterei durchschaut worden. So aber, mit Unterstützung der Medien, hat sich Unverständlichkeit (im Sinne von mangelnder Nachvoll-ziehbarkeit des Gedankenganges) zum Markenzeichen der theoretischen Physik erheben können. Die Außen-stehenden seien ausdrücklich ermutigt, sich nicht durch Mathematik oder Unverständlichkeit abschrecken zu lassen. Sie haben überdies ein Recht darauf, erklärt zu bekommen, was für ihre Gelder getan wird, die in die Forschung fließen.“ […]
- 21. Oktober 2011
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