Allgemeine Diskussion über die Relativitätstheorie
von Gustav Mie
Das GOM-Projekt referiert stichwortartig in seiner Dokumentation zwei Arbeiten von Gustav Mie:
1920 – Das elektrische Feld eines um ein Gravitationszentrum rotierenden geladenen Partikelchens
In: Physikalische Zeitschrift 21, 1920, Nr.23/24, S. 651-659.
S. 652: Im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie kann das Verhalten eines beschleunigten Systems aus den Daten des ruhenden Systems nur dann berechnet
werden, wenn die Beschleunigung durch die „Kraftwirkung eines Gravitationsfeldes“ verursacht worden ist; die Theorie sagt nichts darüber aus, wie sich das materielle System verhält, wenn es durch die Wirkung (1) elektrischer Kräfte oder (2) magnetischer Kräfte oder (3) materielle Kraftwirkungen beschleunigt bewegt wird oder auch (4) in der Drehachse eines rotierenden festen Körpers liegt und durch die eigenen Kohäsionskräfte im Gleichgewicht gehalten wird.
– Auch die Relativität der Gravitationswirkungen „muß noch mit einiger Vorsicht behandelt werden“. Hier müssen „willkürlich fingierte“ Felder von „wirklich vorhandenen“ Feldern „streng“ unterschieden werden: denn die wirklich vorhandenen kann man nicht „durch eine Transformation aus der Natur heraus eskamotieren“.
– Die Relativität der Gravitationswirkungen „bezieht sich nämlich nur auf unendlich kleine Gebiete im Gravitationsfeld, in welchen man die Feldstärke der Gravitation noch als gleichförmig ansehen darf.“ Deshalb darf man nur im unendlich kleinen Gebiet ein wirkliches Gravitationsfeld „hinweg transformieren, in einem ausgedehnten Gebiet ist das unmöglich.“ Würde man dies dennoch tun, so würde es bedeuten, „daß dieses Feld seine Existenz nur der „ unvernünftigen“ Wahl der Koordinaten verdanke, daß es keinem objektiven Tatbestand entspricht“.
– Erörtert die Einsteinschen „natürlichen Geraden“ mit „natürlichen Teilungen“ (im gravitationsfreien Raum konstruiert) und die von ihm selbst so genannten „vernünftigen Geraden“ mit „vernünftigen Teilungen“ (im Gravitationsfeld geltend). Die „natürlichen Geraden“ sind für ein ausgedehntes Gebiet nicht zu gebrauchen.
– S. 653: Behandelt weitere Probleme bis hin zum Dilemma, daß ein rotierendes Teilchen nicht strahlen soll, preist aber zwischendurch „die wunderbare, vollendet schöne mathematische Struktur der Einsteinschen Theorie“.
Die hier geäußerte Kritik der Allgemeinen Relativitätstheorie wegen „willkürlich fingierter“ Felder wird G. Mie in der späteren Allgemeinen Diskussion betont wiederholen (S. 667-668). Die Betonung der Beschränkung auf Gravitationsfelder stellt die Bedeutung des Äquivalenzprinzips in Frage: welche Bedeutung können die angeblich „äquivalenten“ anderen Beschleunigungsursachen haben, wenn sie nicht in die Berechnungen eingehen dürfen?
– Die weitere Einschränkung der Transformierbarkeit zwischen „natürlichen“ und „vernünftigen“ Koordi-natensystemen zeigt mit großer Detailgenauigkeit, daß hier nur noch Gänsefüßchen weiterhelfen: denn sie suggerieren eine besondere, andere Qualität der umschlossenen Begriffe, die aus der Klemme helfen soll.
Eine subtil geäußerte, jedoch sehr grundsätzliche Kritik bei gleichzeitig glühendem Bekenntnis zur Rechtgläubigkeit.
1920 – [Allgemeine Diskussion über die Relativitätstheorie]: (86. Naturfor.-Verslg, Bad Nauheim, 19.-25.9.20)
In: Physikalische Zeitschrift. 21. 1920, Nr. 23/24, S. 667-668.
Nicht erst die Relativitätstheorie hat die Gleichsetzung des Äthers mit greifbarer Materie als unmöglich erkannt, sondern schon vorher Lorentz und auch Abraham, letzterer ohne die Grundlage der Relativitätstheorie.
– Fordert zur Allgemeinen Relativitätstheorie eine scharfe Unterscheidung zwischen „wirklichen Gravitations-feldern, die durch den objektiven Tatbestand gegeben sind“, und „den bloß fingierten Gravitationsfeldern, die man nur durch die Wahl des Koordinatensystems in das Weltbild hineinbringt“. Wenn man „von vornherein alle bloß fingierten Felder“ ausschließt, gibt es einen Weg, „wie man zu einem <bevorzugten> Koordinatensystem kommen kann“. Obwohl G. Mie sich in anderen Schriften als Vertreter der Theorie bekennt, kritisiert er hier genau so fundamental die „bloß fingierten Felder“ wie es in derselben Diskussion P. Lenard tut.
- 31. Oktober 2011
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