Kritik und Fortbildung der Relativitätstheorie
von Karl Sapper (Herausgeber)
Kritik und Fortbildung der Relativitätstheorie
Karl Sapper (Herausgeber)
Sammelwerk
Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz, 1957
Vorwort des Herausgebers
Ein bekannter deutscher Physikprofessor, dem ich eine Diskussion in seinem Seminar über Probleme der Relativitätstheorie angeboten hatte, liess mir sagen: die Relativitäts-
theorie (RT) hat sich nun seit 40 Jahren so glänzend bewährt, dass eine Diskussion keine neuen wertvollen Gesichtspunkte erzielen kann.
Ich antwortete: die Newton’sche Gravitationstheorie hat sich seit drei Jahrhunderten glänzend bewährt. Hätte sich Einstein auf Ihren Standpunkt gestellt, so hätte er niemals eine Theorie aufstellen dürfen, die über die Newton’sche Gravitationstheorie hinausführt – wir hätten dann keine RT bekommen.
Alle in dem vorliegenden Sammelwerke vertretenen Autoren sind der Überzeugung, dass jede wissenschaft-liche Theorie der ständigen Kritik und Fortbildung bedarf – wir lehnen daher den Dogmatismus der relati-vistischen Schulphysik, der in der oben zitierten Äusserung zum Ausdruck kommt, ab und beanspruchen für unsere Arbeit der Kritik und Fortbildung der RT eine vorurteillose Prüfung. Im Rahmen dieser gemeinsamen Einstellung gehen die Anschauungen der einzelnen Autoren ziemlich weit auseinander; jeder Autor kann daher nur für den von ihzm gelieferten Beitrag verantwortlich gemacht werden.
Trotz aller Gegnerschaft gegen jeglichen Dogmatismus in der Wissenschaft sind wir aber davon überzeugt, dass die gewaltige Arbeit, welche Physik und Philosophie in der RT geleistet haben, keinesweg verfehlt und wertlos ist; unser Sammelwerk ist daher durchaus nicht etwaq eine (verkleinerte) Neuausgabe der Streitschrift: „Hundert Autoren gegen Einstein“!
Unter den Autoren, die an dieem unserem Werke beteiligt sind, befinden sich ausser Physikern und Ingenieuren auch zwei Philosophen, darunter auch der Herausgeber des ganzen Werkes. Ein Physiker, dem der leztere seine Bedenken gegen einzelne Punkte der RT vortrug, sagte: „Wenn ich jetzt einem Kollegen von der medizinischen Fakultät in seine Arbeit hineinreden wollte, so würde der mir als einem Laien auf dem Gebiete der Medizin die Berichtigung hierzu absprechen.“ Die Konsequenz war natürlich: auch der Philosoph soll sich nicht in physikalische Fragen einmischen!
Meine Antwort: auch der Physiker kann dem Mediziner bei seiner theoretischen und praktischen Arbeit wertvolle Dienste leisten – nicht umsonst wird von jedem Mediziner das Studium der Physik verlangt. Ebenso kann aber auch der Philosoph, der durch das Studium der grossen Werke eines Descartes, Hume, Leibniz, Kant u.s.f. eine logisch-erkenntnistheoretische Schulung empfangen hat, dem Physiker nützen, zumal beim Aufbau einer Theorie, die wie die RT aufs innigste mit philosophischen Problemen wie Raum, Zeit, Kausalität verknüpft ist! Man darf nie vergessen, dass es ebensosehr philosophische als physikalische Erwägungen waren, die Einstein zur Aufstellung der RT geführt haben. Die hochmütige Nichtbeachtung der philosophischen Arbeit an der RT liegt gewiss nicht im Interesse der Physik. Trotz der unvermeidlichen Spezialisierung der Wissenschaft in unserer Zeit zu scheinbar von einander unabhängigen Fachdisziplinen ist die Wissenschaft im letzten Grunde doch eine Einheit. Eine wechselseitige Befruchtung der Einzeldisziplinen hat immer statt-gefunden und kann ohne Schädigung der Wissenschaft im Ganzen und schliesslich auch ihrer einzelnen Gebiete nicht aufhören.
Dr. D. Karl Sapper, a.o. Prof. der Naturphilosophie, Graz, Universität
– Beitrag von Karl Sapper, Seiten 45-94: Sinn und Begründung des Begriffes der Relativitätstheorie in der Relativititätstheorie.
- 27. Oktober 2011
- Artikel