Das Maß der Dinge. Protophysik von Raum, Zeit und Materie.

von Peter Janich

Das Maß der Dinge. Protophysik von Raum, Zeit und Materie.
Peter Janich
Suhrkamp Verlag, 1997

Buchbeschreibung
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In diesem Band werden Peter Janichs Arbeiten zum Thema Protophysik aus rund zwei Jahrzehnten erstmals im Zusammenhang publiziert und damit als kohärente Durchführung eines Programms erkennbar. Der Mensch sei das Maß aller Dinge, wird
gern mit Bezug auf Protagoras und die griechische Antike zitiert. Selbstverständlich ist hier weder „Maß“ noch „Ding“ in dem Sinne wörtlich zu nehmen, wie die Protophysik eine Theorie des Maßes der Dinge entwirft. Die Meßkunst der modernen Naturwissenschaften als handwerklicher Umgang mit Dingen und ihren Veränderungen ist gleichwohl in einer zentralen Hinsicht durch dieses antike Philosophem besser begriffen als durch die vorherrschenden modernen Auffassungen. Der Mensch als Maß aller Dinge, das ist ein aufklärerisches und geradezu respektlos antinaturalistisches Motto, das heute paradoxerweise weniger in der Ethik als in der theoretischen Philosophie geringgeschätzt wird, vor allem dort, wo sich die wohl aufklärerischste Kulturleistung der Menschheit durchgesetzt hat, nämlich in der Naturwissenschaft. Protophysik ist eine Theorie menschlicher Kulturleistungen.

Das GOM-Projekt referiert stichwortartig in seiner Dokumentation zwei Arbeiten von Peter Janich:

1973 – Eindeutigkeit, Konsistenz und methodische Ordnung: normative versus deskriptive Wissenschafts-theorie zur Physik
In: Zum normativen Fundament der Wissenschaft. Hrsg.: F. Kambartel, J. Mittelstraß. 1973, S. 131-158.

Entfaltet die Positionen der Protophysik als einer normativen Wissenschaftstheorie der Physik. Die Protophysik untersucht die Voraussetzungen der physikalischen Meßgeräte und ihres Gebrauchs zur Gewinnung von Meßwerten in der Physik; dabei deckt sie die vorwissenschaftlichen Grundlagen der Meßgeräte auf und die fehlende Begründung durch die Physik. Die Meßgeräte werden nur aufgrund von praktisch begründeten Normen hergestellt, die als Normen Forderungen und nicht selbst empirisch überprüfbare Aussagen sind. Diese Normen sollten aber methodisch einwandfrei begründet sein.

– Bestreitet die Behauptung der Relativisten, aus der „relativistischen Gangverlangsamung“ von Uhren auf eine Veränderung der Normen (Zeiteinheit) schließen zu dürfen (S. 137, Fußnote 5).

– Die relativistische Physik mit nichteuklidischer Längenmessung und nichtgalileischer Zeitmessung steht im Widerspruch zur Experimentierpraxis dieser modernen Physik, die sich unverändert der Meßgeräte nach protophysikalischen Grundsätzen mit euklidischer Längenmessung und galileischer Zeitmessung bedient (S. 143-144).

– „Daß sich relativistische Physik unter Umständen auch sinnvoll weitertreiben läßt, ohne gleichzeitig den Anspruch auf Revision des euklidisch-galileischen Begriffsystems vertreten zu müssen, widerspricht so sehr der in nahezu allen Lehrbüchern der Relativitätstheorie und insbesondere in deren populärwissenschaftlichen Aufgüssen und „philosophischen“ Räsonnements kolportierten, obzwar methodisch wenig abgesicherten Auffassung, daß man ihre Möglichkeit anscheinend nirgendwo ernsthaft in Betracht zieht“ (S. 145).

– „De facto haben nämlich die Physiker immer euklidische bzw. galileische Meßgeräte hergestellt und verwendet – und zwar nicht nur bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, sondern bis heute“ (S. 145).  Für die Relativisten, die sich angeblich nur von meßbaren Größen ernähren, bedeutet die Frage, wie ihre Meßgeräte und Meßwerte eigentlich zustandekommen, einen indiskreten Griff an die Unterwäsche. Fast jede Darstellung protophysikalischer Grundsätze führt daher zwangsläufig zu einem Konflikt mit der Relativistik, die selbst auf Meßgeräten und Messungen beruht, deren Voraussetzungen sie, die Relativistik, überhaupt nicht analysiert und kontrolliert – aber einfach behauptet, ihre Meßergebnisse veränderten in revolutionärer Weise die Voraussetzungen der Messungen, nämlich die Einheiten der Länge und der Dauer. Darin liegt ein pragmatischer Zirkel, den die Protophysik unweigerlich aufdeckt – weshalb die Relativistik natürlich geschlossen gegen (!) die einzige existierende, rationale Begründungs und Kontrollbemühung für die Geräte und die Messungen der Physik antritt. Jede Behinderung der Kontrolle ist eine Behinderung der Forschung.

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1974 – Zur Kritik an der Protophysik
In: Protophysik. Hrsg.: Gernot Böhme. 1976, S. 300-350.

Der „eigentliche Ort des Dissenses“ zwischen Protophysikern und ihren Kritikern sind die Gründe, „die für oder gegen die Annahme bestimmter Relativitätsprinzipien sprechen“ (S. 309).

– Die Kritik von W. Büchel, die Protophysik liefere für die Chronometrie kein Kriterium für die Entscheidung, welche von zwei bewegten Uhren für die Zeitmessung zugrundegelegt werden soll, stützt sich auf „ein bestimmtes Relativitätsprinzip, dessen Annahme durch die Physiker nicht auf Empirie allein beruht“ (S. 308-309).

– Büchels Kritik ist außerdem methodisch zirkulär, denn sie stützt sich auf „Ergebnisse der messenden Physik gegen eine Theorie von den Bedingungen der Möglichkeit des Messens“ (S. 310).

– Insgesamt stellt die Protophysik eine Kritik der Physikgeschichte dar, woraus sich ein grundsätzliches Potential von konkreter Theoriekritik ergibt, die vielen unerwünscht ist: wenn z.B. eine Theorie allgemein als „gut bewährt“ gilt, dann soll die Protophysik nach den Vorstellungen von G. Böhme gegen sie nicht polemisieren (S. 306).  Die in der Protophysik (konstruktive Wissenschaftstheorie) liegende Bestreitung der empirischen Grundlagen des Relativitätsprinzips, d.h. der Nachweis seines nicht-empirischen Charakters, ist eine so wesentliche Kritik der Theorie, daß sie es den Protophysikern erspart, die angeblichen Folgerungen der Theorie detailliert zu kritisieren. Die Protophysiker stehen daher bei den Relativisten – zu recht – im generellen Verdacht des ketzerischen Unglaubens.

– Vor einer Verherrlichung oder auch nur kritiklosen Hinnahme der Einsteinschen Theorien bewahrt sie ihr methodischer Ansatz, erst einmal nach der Enstehung all der schönen Meßgeräte zu fragen, mit denen die Herren Physiker z.B. Längen und Zeiten messen, wodurch die Protophysik deren nicht-empirische Grundlagen aufdeckt: schon in den Meßgeräten stecken viele unbewiesene Annahmen, von denen die Physiker offensichtlich keine Ahnung haben; Nachhilfe durch die Protophysik mögen sie aber auch nicht.

– Damit wird Minkowskis starke Behauptung (1908), auf strikt empirischer Grundlage zu stehen, aufs schönste widerlegt: die von dem Mathematiker damals proklamierte „radikale Tendenz“ lief also physikalisch in eine neue irrige Richtung, weil sie die behauptete Grundlage gar nicht hatte.

– Für den Tenor „Radikalität“ trägt Minkowski eine große Mitverantwortung, nämlich für eine Physik-durchsetzung auf Biegen und Brechen, mit radikaler (verheimlichter) Gewalt gegen jegliche böse Kritik.

– Übrigens kann die Protophysik den herben Vorwurf, sie wolle physikalische Theorien kritisieren, leicht mit dem etwas schlitzohrigen Hinweis dementieren, daß sie nur die konstruktiven Voraussetzungen der Physik untersucht. Da offene Kritik an Albert Einsteins Theorien verboten ist, arbeitet die Protophysik sozusagen im erkenntnistheoretischen Untergrund, um in der „scientific community“ überleben zu können. 

 

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