Nobelpreise – Lohn für die siegreiche Mafia?
von Karl R. Popper und Konrad Lorenz
Die Zukunft ist offen. Das Altenberger Gespräch.
Mit den Texten des Wiener Popper-Symposiums
Karl R. Popper und Konrad Lorenz
Verlag Piper; Auflage: N.-A. (Januar 1999) – Amazon
Klappentext:
Die in diesem Band veröffentlichten Texte lassen den Leser an zwei Ereignissen des Jahres 1983 teilnehmen, die Aufsehen erregten. Im Februar 1983 trafen sich zwei weltberühmte Wissenschaftler in Altenberg bei Wien. Karl R. Popper –
Wissenschaftstheoretiker und Philosoph -und Konrad Lorenz – Arzt, Zoologe und Verhaltensforscher – diskutierten über ihre wissenschaftliche Arbeit, die Interpretation ihrer Ergebnisse und über ihre philosophischen Überzeugungen. Zentrales Thema: Was wissen wir über die Zukunft? Sind wir Propheten? Der optimistische Pessimist Lorenz und der Interpret der »besten aller bisherigen Welten« Popper sind sich darin einig, daß unsere Welt biologisch und geistig offen ist.
Im Mai 1983 fand in Wien ein dreitägiges Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstages von Sir Karl Popper statt. Unter den Überschriften »Wissenschaft und Hypothese«, »Die drei Welten« und »Die offene Gesellschaft« diskutierte Popper mit Kollegen über sein Denken. Eine Formel dafür könnte lauten: Dies ist keine Welt der Bestätigung von Wahrheiten, sondern eine Welt der Widerlegung von Irrtümern. Aber es gibt die Welt, und es gibt auch die Wahrheit; nur Sicherheit über Welt und Wahrheit kann es nicht geben.
Sir Karl R. Popper, geboren 1902 in Wien, Professor (emeritus) für Logik und wissenschaftliche Methodenlehre an der Universität London, Mitglied der Royal Society, des Institut de France, der Accademia Nazionale dei Lincei und zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften.
Konrad Lorenz, geboren 1903 in Wien, Arzt und Zoologe, 1940 Professor für vergleichende Psychologie in Königsberg, 1950—1973 Direktor am Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in Buldern, später Seewiesen. 1973 Nobelpreis für Physiologie und Medizin.
Franz Kreuzer, geboren 1929 in Wien, bis 1966 Reporter, Ressortleiter und Chefredakteur der »Arbeiterzeitung«, bis 1974 Chefredakteur des aktuellen Dienstes, 1974-1978 Intendant des zweiten Fernsehprogramms im ORF, ab 1979 Chefredakteur, ab 1984 Informations-Intendant des ORF, Wien.
Franz Kreuzer hat das Altenberger Gespräch und das Popper-Symposium moderiert.
Einige Zitate und Auszüge:
Nobelpreise – Lohn für die siegreiche Mafia?
Franz Kreuzer: Hier sollte man doch ein paar Worte über Thomas Kuhn sagen. Von ihm stammt die Wissenschaftstheorie der »Paradigmata«. Er sagt, die Wissenschaft sei eine Vereinbarung jeweils einer Wissenschaftsmafia, die von der nächsten abgelöst wird.
Roman Sexl: Es sei eher ein soziologischer Prozeß als ein logischer Prozeß oder ein kritischer Prozeß ….
Kreuzer: Wissenschaft ist das, was zwischen den Wissenschaftlern ausgemacht wird ….
Roman Sexl: Es wird ausgemacht zwischen Gruppen — wer gewinnt, der hat dann den Nobelpreis. Und da ist die Frage, ob das, wenn die Beschreibung des Widerlegungsvorganges durch Falsifikation so kompliziert wird, eine einfachere und adäquatere Beschreibung eines solchen Prozesses sein könnte.
Falsche Erziehung zur Unfehlbarkeit
Ivan Slade: Unter dem Titel des heutigen Themas »Die offene Gesellschaft« geht es in erster Linie um den Menschen. Natürlich hat dieses Thema viel mit Politik zu tun, aber nicht ausschließlich mit Politik, und ich will deshalb versuchen, eine angeblich unpolitische Institution zu kritisieren: das Bildungswesen. Meine These ist einfach, aber ich glaube, sie ist nicht unbedeutend: In der Schule werden wir fast alle dazu erzogen, Autoritäten anzuerkennen. Ich behaupte, daß die kritische Fähigkeit des menschlichen Denkens in der Schule und zum Teil an der Universität nicht gefördert, vielleicht sogar unterdrückt wird. Ich glaube, daß die Lehrer verpflichtet sind, junge Menschen zum kritischen Denken zu erziehen, so daß sie in Zukunft einen Beitrag zur offenen Gesellschaft leisten können.
Mit zwölf Jahren habe ich meinen Physiklehrer gefragt: Was ist Energie? Inzwischen weiß ich, daß so eine Frage schwer zu beantworten ist. Aber er hat überhaupt nicht versucht, meine Frage zu beantworten. Dies ist ein sehr kleines Beispiel aus meiner Schulzeit. Immer wenn ich während dieser Zeit versuchte, etwas Kritisches zu fragen, bekam ich keine Antwort.
Jeder von uns weiß, daß wir fehlbar sind, sehr fehlbar. Aber unter normalen Umständen geben wir dennoch unsere Fehlbarkeit anderen gegenüber nie oder nur selten zu. Es gibt interessante Ausnahmen. Wenn man zum Beispiel versucht, eine Fremdsprache zu sprechen. Wie oft hört man als Antwort auf die Frage: »Sprechen Sie Deutsch?« – »Ja, ein bißchen.« In diesem Fall gibt der Mensch gerne zu, daß seine fremdsprachliche Kenntnis unzulänglich ist, aber auf anderen Gebieten scheut er sich, es zu tun. Normalerweise versucht der Mensch, seine Fehlbarkeit zu verbergen, zu vertuschen. Es könnte als eine Art Verschwörung betrachtet werden: Wir alle wissen, wie fehlbar wir sind, wie wenig wir wissen, aber niemand gibt es gerne zu. In der Schule sind wir nämlich erzogen worden, als ob unser Kopf ein Kübel wäre — wie Popper es beschrieben hat — und die Aufgabe des Lehrers darin bestünde, die Information mit dem passenden Trichter einzugießen. Aber wenn wir einsehen, was an unserer Erziehung falsch ist — warum ist es so schwer, sie zu ändern?
Plädoyer für die Bescheidenheit
Karl Popper: Der ungeheure Einfluß der Welt Drei wirkt auf die Gesellschaft vor allem durch die so genannten Intellektuellen. Ich habe mir vorgenommen, für den Rest meines Lebens für intellektuelle Bescheidenheit Propaganda zu machen. Es gibt eine Tradition, eine ungeheuer starke Tradition der intellektuellen Unbescheidenheit und Unverantwortlichkeit. Ich habe ungefähr im Jahre 1930 einen Spaß gemacht. Ich habe gesagt: Viele der Studenten gehen an die Universität nicht mit der Einstellung, daß da ein großes Reich des Wissens ist, von dem sie vielleicht ein kleines Stück erfassen können, sondern sie gehen an die Universität, um zu lernen, wie man unverständlich und eindrucksvoll redet. Das ist die Tradition des Intellektualismus. Ich habe das damals als Spaß gesagt. Wie ich aber dann selbst Universitätslehrer geworden bin, habe ich zu meinem Entsetzen bemerkt, daß das Wirklichkeit ist. Es ist so, leider.
- 14. Oktober 2011
- Artikel
27. März 2014 um 09:45
[…] Karl Raimund Popper hat in seinem gemeinsamen Buch mit dem Nobelpreisträger Konrad Lorenz Die Zukunft ist offen mit den Texten des Wiener Popper-Symposiums 1985 äußerst bedeutsame Gedanken über die […]