Über Äther und Uräther
von Philipp Lenard
Über Äther und Uräther
Philipp Lenard
Verlag Hirzel, Leipzig 1922
buchfreund.de
Das GOM-Projekt referiert in seiner Dokumentation verschiedene Arbeiten von Philipp Lenard über die Kritik der Allgemeinen Relativitätstheorie und der Speziellen Relativi-tätstheorie:
1910 – Über Äther und Materie: Vortrag, gehalten in der Sitzung der Gesamtakademie am 4.6.1910
In: Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Math.-naturwiss. Kl., Abt. A. Sitzungsberichte. Jg. 1910, Abh. 16, S. 1-37.
„Elektrodynamik“ (S. 20-24). keine Erwähnung der Speziellen Relativitätstheorie. – „Relativität der Bewegung“ (S. 32-35): Das Relativitätsprinzip (RP) sagt aus, „daß wir niemals absolute Bewegungen im Raum, sondern nur relative Bewegungen der Körper gegeneinander wahrnehmen können“ (S. 32). Jeder Körper auf der Erde nimmt an mehreren, verschiedenen Bewegungen teil (Erddrehung, Erdumlauf um die Sonne), die sich gegenseitig nicht stören: „ jede einzelne dieser Bewegungen [geht] genau so vor sich, als wären die anderen gar nicht vorhanden“ (S. 32). – Diese Erkenntnis der gegenseitigen Nichtstörung sich überlagernder Bewegungen war bereits Galilei bekannt, daher sein Parallelogrammsatz über zusammengesetzte Bewegungen. Die gegenseitige Nichtstörung hatte auch zur Folge, daß die gesamte Mechanik (Statik und Dynamik) „durch bloßes Studium der beobachtbaren relativen Bewegungen vollkommen sich entwickeln konnte, indem das etwaige, gleichzeitige Vorhandensein unbekannter Bewegungskomponenten an dem Verhalten der beobachtbaren Bewegungen nichts ändert. Umgekehrt aber können dann auch unbekannte Bewegungskomponenten aus den beobachtbaren Bewegungen nicht abgeleitet werden, und so scheint es, daß wir in der Tat kein Mittel haben, über absolute Bewegung oder Ruhe im Raume zu entscheiden. Dies ist auch jedenfalls richtig, solange wir nur die Bewegung der Materie ins Auge fassen. Bedenken wir aber, daß alle Materie in dem Äther eingebettet ist und durch diesen sich hindurch bewegt, so ist doch die Frage berechtigt, ob wir nicht Bewegung der Materie relativ zum ruhend gedachten Gesamtvolumen des Äthers, also doch Absolutbewegungen der Materie im Raume aufdecken könnten“ (S. 33). Zur Aufdeckung von Absolutbewegungen können nur „optische oder, allgemeiner, elektrische Erscheinungen“ dienen, die Lenard als „innere Bewegungen des Äthers“ betrachtet.
– Einer dieser Versuche ist der Michelson-Morley-Versuch. Resultat: kein Einfluß der Erdbewegung auf die Lichtlaufzeiten. Lorentz’ Erklärungsversuch durch eine „Verzerrung“ (Kontraktion) des Interferometers; dieser Verzerrung müßten alle „festen Körper“ unterliegen; die Deformationen müßten in Änderungen der Kraftfelder innerhalb der festen Körper bestehen (S. 34). Man darf „demnach kaum mehr zweifeln, daß die festen Körper durch ihre Bewegung relativ zum Äther, also durch ihre absolute Bewegung, solche Deformationen erleiden“ (S. 34); diese Deformationen können jedoch nicht zum Nachweis des absoluten Raumes dienen, weil sie auch alle Vergleichskörper betreffen.
– Die Lichtgeschwindigkeit als Maximalgeschwindigkeit ist anzunehmen, weil sie der „inneren Geschwindigkeit des Äthers“ entspricht (S. 35). Diese früheste Behandlung des Michelson-Morley-Versuchs und seiner Folgerungen durch Lenard in seinem Vortrag Juni 1910 zeigt, daß er nur die auf der Grundlage der Ätherhypothese von Lorentz entwickelten Vorstellungen akzeptiert; von Einsteins Spezielle Relativitätstheorie (seit 1905) und Minkowskis Raumzeit- Modell (seit 1908) ist nicht die Rede.
– Trotz Anerkennung des Relativitätsprinzips von Galilei für bewegte Körper hält er die Erkenntnis des absoluten Raumes durch optische und elektrische Erscheinungen für nicht ausgeschlossen. Bedauer-licherweise zeigt er sein stärkstes Argument gar nicht vor, das logisch in der „gegenseitigen Nichtstörung“ überlagernder Bewegungen liegt: aus den beobachteten Bewegungen kann nie ausgeschlossen werden, daß noch andere, unbeobachtete Bewegungen die beobachteten überlagern; d.h. aus der bisherigen Nicht-Beobachtung einer absoluten Bewegung kann nicht auf ihre Nicht-Existenz geschlossen werden, was andererseits Einsteins große Spezialität ist: die Nichterwähnung von Einsteins Theorie hat also ihren Grund.
– Lenards immanente Kritik besteht in insgesamt 5 Punkten:
(1) Hypothese eines absolut ruhenden Äthers als Trägermedium für elektromagnetische Strahlung;
(2) Längenkontraktion nur durch eigene absolute Bewegung relativ zum absolut ruhenden Äther;
(3) Kausalerklärung einer Längenkontraktion durch materielle Ursachen;
(4) Möglichkeit einer Feststellung der absoluten Bewegung;
(5) Lichtgeschwindigkeit nur als Maximalgeschwindigkeit, jedoch ohne Konstanz gegenüber beliebig bewegten Beobachtern.
– Bemerkenswert ist, daß auch ein Autor von der Stellung Lenards das angebliche Null-Ergebnis des Michelson-Morley-Versuch unkritisch übernimmt, ohne die genaueste Prüfung des Hergangs – und des Nicht-Hergangs! – beim Michelson-Morley-Versuch, bevor er die Lorentzschen Schlußfolgerungen akzeptiert.
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1911 – Über Äther und Materie: Vortrag, gehalten in der Gesamtsitzung der Heidelberger Akademie d. Wiss. am 4.6.1910
2., ausführlichere u. mit Zusätzen versehene Aufl. – Heidelberg: Winter 1911. 51 S. Vgl. Ausgabe 1910.
– Gegenüber der Ausgabe 1910 veränderte Ätherhypothese: „räumlich diskontinuierlich bewegter, durchdringlicher Äther“ (S. 3).
– Der Abschnitt „Relativität der Bewegung“ ist jetzt überschrieben: „Absolute und relative Bewegung“ (S. 44-49). Behandelt jetzt auch die geschwindigkeitsabhängige Massenveränderung, an Kathodenstrahlen beobachtet (S. 45). Erklärt eine Verlangsamung des Uhrengangs bei höherer Geschwindigkeit durch die Massenzunahme, weil sie „die Massen und Kräfte des Uhrwerkes“ verändert (S. 46).
– Neu: Exkurs zum Zeitbegriff (S. 46, Fußnote): Bisher wurde der Zeitbegriff auf eine „ideelle, völlig ungestörte Uhr“ bezogen; jetzt wird vorgeschlagen, den Zeitbegriff stets auf eine mitbewegte Uhr zu beziehen.
– Vergleicht die Argumente für beide Auffassungen: für den neuen Zeitbegriff sprechen, (1) daß die mathematische Behandlung einfacher wird, und (2) die Tatsachen, daß die ideelle Uhr nicht strikt verwirklicht werden kann und ebenfalls ständig einer Bewegung (Erddrehung) unterliegt, die nicht durch außerirdische Vergleichszeiten kontrolliert werden kann.
– Gegen den neuen Zeitbegriff spricht, (1) daß er die Wechselwirkung zwischen Äther und Materie verschleiert und damit die Äther-Hypothese unbrauchbar macht; (2) die Punkte der Erdoberfläche sind keinen derart großen Geschwindigkeitsänderungen unterworfen, daß unsere Uhren von der ideellen Uhr unseres Zeitbegriffs merklich abweichen würden; (3) das Relativitätsprinzip ist bisher nur in erster Annäherung (für kleinere Geschwindigkeiten) bestätigt, wohingegen für große Geschwindigkeiten noch „Unsicherheit über die exakte und allgemeine Gültigkeit“ besteht: „solche Fälle sind bisher nur wenige (an Kathodenstrahlen) und noch nicht in völlig beruhigender Weise nachmeßbar gewesen“: würden sich Abweichungen vom Relativitätsprinzip ergeben, müßte der neue Zeitbegriff wieder verworfen werden. Der bisherige Zeitbegriff „scheint für jetzt … die zufriedenstellendere Grundlage zu sein“.
Neue Themen: Massenzunahme und Zeitbegriff. Variation der Ätherhypothese. Beides ändert nichts an Lenards Kritik.
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1918 – Über Relativitätsprinzip, Äther, Gravitation
Leipzig: Hirzel 1918. 20 S. – Sonderabdr. aus: Jahrbuch der Radioaktivität und Elektronik. 15. 1918, S. 117-136.
– S. 1: P. Gerbers Abhandlung (Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Gravitation. 1902) hat als erster, 18 Jahre vor Einstein, den Zusammenhang zwischen Merkurbewegung und Lichtgeschwindigkeit aufgedeckt; erörtert die Kritik an Gerbers Resultat, hält sie für ungerecht.
– S. 3-5: Das Relativitätsprinzip der Speziellen Relativitätstheorie ist anzuerkennen, weil es kein Mittel zum Nachweis einer „gleichförmigen Absolutbewegung“ gibt. Die daraus abgeleitete Forderung, den Zeitbegriff zu ändern, ist eine „Übertreibung“: beruht auf einer „Verwechslung von technisch Unmöglichem mit Denkunerlaubtem“; die Unmöglichkeit, absolute gleichförmige Bewegung nachzuweisen, hindert „nicht die Erfassung absolut gleichzeitigen Geschehens hier und auf beliebig fernem Gestirn“; dies wäre eine „Beiseiteschaffung dieser Freiheit des Denkens“; ebenso unsinnig wäre „eine Verschmelzung des Längenbegriffs mit dem Temperaturbegriff“, nur weil alle wirklichen Längen sich mit der Temperatur ändern (S. 5).
– Das „verallgemeinerte“ Relativitätsprinzip behauptet die Unmöglichkeit, auch ungleichförmige Bewegungen zu erkennen; wird widerlegt durch die Trägheitswirkung; im abgebremsten Eisenbahnzug geht alles in Trümmer, während der Kirchturm neben dem Zug unbeschädigt bleibt: beweist, daß der Zug seine Geschwindigkeit geändert hat und nicht die Umgebung. Gravitationswirkung und Trägheitswirkung sind nicht dasselbe (S. 6). Auch Rotationsbewegung kann durch Trägheitswirkung nachgewiesen werden (S. 7).
– Das „verallgemeinerte“ Relativitätsprinzip kann nur gerettet werden, wenn man seine Allgemeingültigkeit aufgibt und auf Gravitationswirkungen beschränkt (S. 8).
– Der Versuch, den Äther als „raumerfüllendes Medium“ zu beseitigen, ist ein Fehler: der Äther liegt der Optik und Elektrodynamik bis zu Maxwell und Hertz zugrunde. Wenn der Äther in einer Theorie nicht vorausgesetzt wird, beweist dies nichts gegen den Äther als „Hilfsmittel der Forschung“ (S. 9-10). In der Theoriebildung sind immer „verborgene Mitspieler“ als heuristische Ansätze beteiligt gewesen (S. 11). Der angeblich abgeschaffte Äther kommt mit den „Raumkoordinaten“ nur unter anderem Namen als „Raum“ zurück (S. 13).
– Das Problem des Äthers sind die unvollkommenen Vorstellungen von ihm: da die Maxwellschen Gleichungen die „Quintessenz der Physik des Äthers“ darstellen, müßten sie aus dem Äthermechanismus ableitbar sein (S. 13).
– Auch Gerbers Erkenntnisse wurden aufgrund der Äthervorstellung gewonnen (S. 14- 15). Differenzierte und doch fundamentale Kritik der Theorie (Allgemeine Relativitätstheorie) unmittelbar nach ihrem Auftreten. Lenards Fragen an die Theorie sind bis heute nicht beantwortet, ziehen sich deshalb bis heute durch die kritische Literatur.
– Beweist die Verlogenheit und Bösartigkeit aller Versuche der Relativisten bis zum heutigen Tage, Lenards physikalische Kritik von 1918 unter Hinweis auf seine späteren (erst 1922 veröffentlichten) antisemitischen Äußerungen als antisemitische Hetze abzutun. – Es hat übrigens nur 2 Jahre gedauert, bis Einstein den Äther wieder hervorgezogen hat, wie von Lenard vorausgesagt.
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1920 – [Beitrag zu] Allgemeine Diskussion über die Relativitätstheorie:
(86. Naturforsch.-Verslg, Nauheim 1920, 19.-25.9.) In: Physikalische Zeitschrift. 21. 1920, Nr. 23/24, S. 666-668.
– S. 666: Unterscheidet bei der Erörterung zwischen Bildern „erster Art“, das sind mathematische Gleichungen, und Bildern „zweiter Art“, das sind Deutungen der Gleichungen als Vorgänge im Raume: diese sind unverzichtbar; außerdem ist für sie ein Äther unentbehrlich.
– Frage: „Wie kommt es, daß es nach der Relativitätstheorie nicht unterscheidbar sein soll, ob im Falle des gebremsten Eisenbahnzuges der Zug gebremst oder die umgebende Welt gebremst wird?“
– S. 667: Das Relativitätsprinzip (=Äquivalenzprinzip) ist nützlich nur bei Anwendung auf Gravitationskräfte; „für nicht massenproportionale Kräfte halte ich es für ungültig“. Man darf im Falle der nicht massenproportionalen Kräfte keine geeigneten Felder „hinzudichten“.
Auf Lenards berühmt gewordene Frage, warum beim plötzlichen Abbremsen des Zuges im Zug selbst alles durcheinanderfliegt, der Kirchtum am Bahndamm aber stehenbleibt, ist von den Relativisten bis heute in der Sache nicht beantwortet worden. Einstein hat 1920 in Bad Nauheim darauf geantwortet (S. 666): die Relativitätstheorie kann die Trägheitswirkungen im Zug „ebensogut als Wirkungen eines Gravitationsfeldes deuten“, das durch die entfernten Massen (gemeint: Fixsterne) erzeugt wird. Lenard verlangt, „die hinzugedachten Gravitationsfelder müssen Vorgängen entsprechen und diese Vorgänge haben sich in der Erfahrung nicht gemeldet“. Einsteins Antwort besteht nur darin, etwas hinzuzudenken; praktisch hätte demnach der Lokomotivführer, als er die Bremsung ausführte, ein Gravitationsfeld erzeugt und könnte dies nach Belieben wiederholen.
– Zu Einsteins Behauptung über die Gravitationswirkung der entfernten Massen wäre außerdem zu fragen: warum muß vorher der Zug durch Energieaufwand in Bewegung gebracht werden, um erst durch Bremsung die angebliche Gravitationswirkung herbeizuführen? Warum wirkt diese Gravitation nicht schon vorher?
– Eine Antwort auf Lenards Frage, warum der Turm nicht fällt, steht noch aus. Es gehört zur allgemein bekannten – und von den Kritikern angekreideten – Strategie der Relativisten, kritische Fragen nicht zu beantworten, sondern stattdessen andere Geschichten zu erzählen: der Meister hat es 1920 vorexerziert.
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1921 – Über Äther und Uräther:
(Vorwort, datiert: August 1921) (Teilweise neu bearb. Ausg.). – Leipzig: S. Hirzel 1921. 56 S.
Überarbeitete Fassung des Beitrags gleichen Titels in: Jahrbuch der Radioaktivität und Elektronik. 17. 1920 (1921), 307-356.
Wirft den Vertretern der Relativitätstheorien vor, jegliche nüchtern-kritische Behandlung ihres Gegenstandes zu unterlassen, stattdessen „durch Übertreibungen, Voreiligkeiten und Oberflächlichkeiten“ der Naturwissen schaft ihre methodische Stärke zu nehmen und durch „Verdeckung noch offener Fragestellungen des Experiments zugunsten einer scheinbaren theoretischen Glätte“ den Fortschritt der Wissenschaft zu schädigen (S. 7).
– Kritisiert in vorliegender Arbeit nicht nur, wie früher schon, die Allgemeine Relativitätstheorie, sondern jetzt ebenso die Spezielle Relativitätstheorie, die ihm anfänglich noch etwas zu bedeuten schien (S. 7).
– Für die Ätherhypothese ist es schwierig, aus dem Tatsachenmaterial zu 6 Erscheinungen ein widerspruchs-freies Bild zu gewinnen:
(1) Aberration;
(2) optisch-negative Versuche;
(3) elektrisch-negative Versuche;
(4) Doppelsternbeobachtungen;
(5) optische Mitführung;
(6) Kathodenstrahlbeobachtungen.(S. 15).
– Die 6 Erscheinungen haben zur Aufstellung der Spezielle Relativitätstheorie geführt; durch geänderte Annahmen zur Ätherhypothese können diese Erscheinungen nun jedoch erklärt werden, ohne die nicht beobachteten „sonderbaren Annahmen“ Einsteins (Raum, Zeit, Längenkontraktion, Zeitdilatation) verwenden zu müssen (S. 24-36).
– Lenards Lösung besteht in der Einführung einer zusätzlichen Uräther- oder Metäther-Hypothese; Äther und Uräther bestehen gleichzeitig im Raum; der Uräther in seiner Gesamtmasse ruht und bedingt die Eigenschaften der elektromagnetischen Felder, insbesondere als Medium, in dem elektromagnetische Felder sich mit Lichtgeschwindigkeiten ausbreiten; der Äther ist der Materie zugeordnet und mitbewegt, weshalb seine Verteilung sehr ungleichmäßig ist (S. 16-19).
– Eine Lichtablenkung im Gravitationsfeld wurde schon 1801 von Soldner vermutet und für die Sonne berechnet ; sie kann ohne Allgemeine Relativitätstheorie, allein von der Annahme einer Masse des Lichtquants abgeleitet werden (S. 37).
– Die Idee der Trägheit der Energie hat als erster Hasenöhrl 1904 eingeführt: diese Beziehung kann ganz ohne Benutzung des Relativitätsprinzips abgeleitet werden, ist später aber von Einstein in seine Theorie übernommen worden (S. 39).
– Überlichtgeschwindigkeiten sind in der SRT nicht zugelassen, in der Allgemeinen Relativitätstheorie jedoch zulässig, und zwar „millionenfache“: „bedeudet, daß jetzt einige Physiker gleichzeitig zwei Theorien zu bewundern haben, deren eine in ihrem Grundgedanken widerlegt ist sobald Überlichtgeschwindigkeit nachweisbar wird, deren andere aber ganz im Gegenteil Überlichtgeschwindigkeiten, und zwar millionenfache, als etwas Alltägliches zuläßt, und die doch beide richtig sein sollen (wahrscheinlich abwechselnd!)“ (S. 43).
– Für die beliebte „Ausdrucksweise der Relativisten, in welcher Massen, Längen, Zeiten von der Wahl des ‘Koordinatensystems’, vom Standpunkt oder Bewegungszustand des ‘Beobachters’ abhängig erscheinen“, gibt es keine Begründung (S. 46). Mit der Anklage der Oberflächlichkeit und Voreiligkeit thematisiert Lenard schon 1921, was von den Relativisten in den nächsten Jahren ausgebaut wird zum regelrechten Lügensystem zur Durchsetzung und Absicherung der Theorie: Verleugnung, pauschale Verleumdung als Antisemitismus, Ausgrenzung und Unterdrückung jeglicher Kritik, der Personen und ihrer Texte, aus den Fachorganen der Physik, alles zum größeren Ruhm ihres neuen Kopernikus-Galilei- Newton.
– Lenards eigene Ätherhypothese (Äther und Uräther) steht hier nicht zur Debatte, hat aber zu wichtigen Ableitungen ohne die Theorien Einsteins geführt oder solche bestätigt und folglich die Kritik der Speziellen Relativitätstheorie und Allgemeinen Relativitätstheorie bestätigt und erhärtet.
– Verhältnismäßig selten wird von Kritikern die Unvereinbarkeit der beiden Theorien so scharf herausgestellt wie von Lenard: die Relativisten behaupten lieber, daß eine Theorie auf der anderen aufbaut oder „in sie übergeht“. Der usurpatorische Charakter der Relativistik wird wiederholt denunziert, die immer wieder anderswo unabhängig gewonnene Erkenntnisse als Bestätigungen für die eigene Theorie ausgibt. Der logisch nächste Schritt wird es sein, den Paketcharakter der Theorie zu entdecken, das Paket aufzuschnüren und das Wahre vom Falschen zu trennen.
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1921 – Vorbemerkung [zum Abdruck einer Arbeit von Soldner aus dem Jahr 1801]
In: Annalen der Physik. F. 4, Bd. 65. 1921, Anschließend (S. 600-604) Auszüge aus Soldners Text: Über die Ablenkung eines Lichtstrahls von seiner geradlinigen Bewegung durch die Attraktion eines Weltkörpers, an welchem er nahe vorbeigeht.
Soldner hat bereits 1801 – ohne die Annahmen der Allgemeine Relativitätstheorie – eine Lichtablenkung durch Gravitation berechnet und einen Wert gefunden, der mit den Ergebnissen der Beobachtungen der Sonnenfinsternis 1919 übereinstimmt.
Der Fall ist den Gerberschen Erkenntnissen über den Merkurperihel von 1902 ähnlich.
– Grund für den Wiederabdruck der Arbeit von Soldner ist ihr geringer Bekanntheitsgrad (Lenard selbst hat erst 1921 von ihr erfahren) und ihre Bedeutung, da „niemand sagen kann, in welchem Maße die ältere Leistung Anlaß und Stütze für spätere Beschäftigung mit demselben Gegenstand gewesen war“ (S. 594).
– Soldner meint, Licht aus einer heißen Materie hat selbst Materieeigenschaften und ist deshalb der Gravitation unterworfen. Diese Auffassung geriet im 19. Jh. wegen der herrschenden Wellentheorie des Lichts in Vergessenheit (S. 595).
– Soldner hat seine Erkenntnisse ohne Zuhilfenahme von Speziellen Relativitästheorie/Allgemeinen Relativitätstheorie und ihren Raum und Zeitvorstellungen gewonnen (S. 596). „Eine verwickelte Theorie mit sehr weitgehenden Behauptungen, die man zur Ableitung eines Resultats gar nicht nötig hat, kann durch das Zutreffen des Resultats niemals bestätigt werden“; die Theorie wird in diesem Fall „nur künstlich und zum Schein mit dem Resultat verwoben“; dasselbe gilt für „alle anderen bisherigen Erfahrungsbestätigungen“ für die Relativitätstheorie: „es sind Scheinbestätigungen“ (S. 597), nennt die Hasenöhrlsche Energieträgheit; läßt einzig die Rotverschiebung der Spektrallinien gelten, wenn sie bestätigt wird. Kritisiert hier nicht nur die Theorie, sondern stellt auch die Frage, wie weit Soldners Arbeit „Anlaß und Stütze“ gewesen ist, an eine Theorie, die dafür bekannt ist, daß sie schon 1905 keine Rechenschaft über ihre Quellen gegeben hat.
– Die Allgemeine Relativitätstheorie verliert durch Soldner ihre angebliche „sensationelle Bestätigung“ durch die Sonnenfinsternis-Beobachtung; da die Allgemeine Relativitätstheorie angeblich nur eine Weiterentwicklung der Speziellen Relativitätstheorie sein soll, verliert damit auch die Spezielle Relativitätstheorie eine Stütze.
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1922 – Über Äther und Uräther: mit einem Mahnwort an deutsche Naturforscher
[datiert: Juli 1922] 2., verm. Aufl. – Leipzig: Hirzel 1922. 66 S. Zitate abgedr. in: Hundert Autoren gegen Einstein. 1931, S. 90-91.
S. 5-10: „Ein Mahnwort an deutsche Naturforscher“.
– Zum ersten Mal erscheinen in Lenards theoriekritischen Schriften hier auch antisemitische Äußerungen: er bezeichnet die Methoden der Durchsetzung der Theorie als unsachlich und undeutsch und typisch jüdisch, besonders die Methode, sachliche Fragen als persönlichen Streit auszutragen.
– Als Auslöser für das „Mahnwort“ nennt Lenard folgende Vorkommnisse und Motive:
(1) die „Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte“, die als wissenschaftliche Gesellschaft ein abgewogenes Urteil aussprechen müßte, ist auf ihrer Hundertjahrfeier in Leipzig der unwissenschaftlichen Anpreisung der Theorie nicht nur nicht entgegengetreten, sondern hat sich an der Propagierung des „Unfugs“ und „Hypothesenhaufens“ beteiligt;
(2) in einem Zeitungsartikel haben einige Mathematiker ihm als Motiv für seine Theoriekritik persönliches Übelwollen unterstellt (Lenard nennt weder den Namen der Zeitung noch den Artikel);
(3) sieht in der allseitigen Propaganda für die Theorie einen „Fremdgeist“, eine „dunkle Macht“ wirken, die den „gesunden deutschen Geist“ zurückdrängt.
– Führt als offensichtliche Schwächen der Theorie, über die eine öffentliche Diskussion verweigert wird, folgende Punkte an:
(1) Einstein hat seine grundlegende Behauptung von der Nichtexistenz des Äthers umgeworfen, ohne daß die Konsequenzen diskutiert werden.
(2) Die Behauptung mathematischer Konstruktionen als physikalische Realität.
(3) Die Verleugnung der unabhängigen Vorgänger Soldner, Gerber und Hasenöhrl.
– S. 11-66: Haupttext des Buches, im selben Umfang wie die Ausgabe vom August 1921.
Das Jahr 1922 bringt eine verhängnisvolle Entwicklung durch die antisemitischen Äußerungen Lenards in seinem „Mahnwort“: nachdem er in seinen bisherigen hier dokumentierten theoriekritischen Veröffentlichungen nicht die geringste persönliche Diffamierung gegen Einstein vorgetragen hatte, bedeutet das „Mahnwort“ einen Bruch, der wegen der prominenten Stellung Lenards den Relativisten einen Vorwand lieferte, alle Kritiker der Einsteinschen Theorien pauschal als Antisemiten zu verleumden, eine zumindest in Deutschland bis heute anzutreffende Praxis (zuletzt P. Mittelstaedt 1994: „Ein Jahrzehnte dauernder, völlig unsachlicher ideologischer Streit, an dem sich zahlreiche weltanschauliche Gruppierungen beteiligten (Marxisten, NS-Ideologen u.a.) zeugt von dem fundamentalen Mißverständnis der Relativitätstheorie, das sich unter ihren vermeintlichen Gegnern ausgebreitet hatte“ – in: Philosophie und Physik der Raumzeit. 2. Aufl. 1994, S. 99-100).
Mittelstaedts Botschaft: die Kritiker sind gar keine Kritiker, sondern „Gegner“, aber nur vermeintliche, also irgenwie keine richtigen Gegner, alles falsch verstehende, nur unsachlich und ideologisch argumentierende Leute wie z.B. NS Ideologen.
– Lenard und die anderen, äußerst wenigen Theoriekritiker, die ihre berechtigte und z.T. glänzende physikalische Argumentation mit antisemitischer Hetze verbanden, haben schwere historische Schuld auf sich geladen, indem sie den Relativisten den Anschein einer Berechtigung zur pauschalen Verleumdung der Kritik lieferten, den die Öffentlichkeit bis heute nicht durchschauen
- 29. August 2011
- Artikel
03. September 2011 um 22:25
„- Lenard und die anderen, äußerst wenigen Theoriekritiker, die ihre berechtigte und z.T. glänzende physikalische Argumentation mit antisemitischer Hetze verbanden, haben schwere historische Schuld auf sich geladen, indem sie den Relativisten den Anschein einer Berechtigung zur pauschalen Verleumdung der Kritik lieferten, den die Öffentlichkeit bis heute nicht durchschauen“
. .. und damit kann es jetzt vorbei sein, wenn „die Kritiker“ Lenards Ad-Hominem-Holzweg, nach dem die Relativitätstheorie jüdischer Herkunft sei, endlich verlassen. Tatsächlich wurde sie nicht von dem 26-jährigen Einstein in sechs Wochen, sondern seit 1902 in München von dem preisgekrönten Mathematiker Ferdinand Lindemann entwickelt und dann aufgrund persönlicher und politisch-weltanschaulicher Interessiertheiten 1905 unter Vorschiebung des jungen Einstein zur Veröffentlichung gebracht.
Lindemann selbst hat mehr oder weniger unverblümt beschrieben, wie er die Relativitätstheorie entwickelte und zu veröffentlichen gedenkt: in „Wissenschaft und Hypothese“, Ausgabe 1904, Bemerkung 97).
Es ist tragisch, daß sowohl Lenard als auch seine Mitarbeiter diese Fundstelle übersahen und deshalb auf die Falschfährte gerieten, die der Lindemann-Schüler Sommerfeld – aus welchen Gründen auch immer – zu einer angeblichen semitischen Urheberschaft legte. Erinnert sei an die Seltsamkeit der Szene in Lindemanns Arbeitszimmer, die Heisenberg in „Der Teil und das Ganze“ beschrieb, und die als Insiderwissen zu seinem Karrieretreibsatz wurde.
Fazit: die Relativitätstheorie wurde von einem Nichtsemiten erstellt, und einer auf die sachliche Relativitätstheoriekritik abzielende Antisemitismusdebatte ist der Boden entzogen. – Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis „die Kritiker“ und auch G. O. Müller das Potential dieser historischen Erkenntnis endlich begreifen . . .