Kritik der Raumzeit
von Luitpold Mayr
Unter dem Motto „Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ von Immanuel Kant, bietet Luitpold Mayr in seinem Blog Was ist Zeit? kurze und sehr konsequente Texte zum Verständnis des Zeitbegriffes. Nachstehend als Leseprobe sein Beitrag Kritik der Raumzeit vom 13.03.2011:
1. Raumzeit als mathematisches Modell
Stellt man alle Raumpunkte in einer Linie dar, so kann man ein Raum-Zeit-Diagramm konstruieren, in welchem der Raum die x-Achse und die Zeit die y-Achse bildet. Jedes
Ereignis erscheint in dem Diagramm als Punkt, weil es an einem bestimmten Ort zu einen bestimmten Zeitpunkt stattfindet. Ein Vorgang von zeitlicher Dauer stellt sich als Linie dar, die in der theoretischen Physik als „Weltlinie“ bezeichnet wird. Ein einfaches mathematisches Modell, wie es mit anderen Inhalten in vielen Wissenschaften und in zahllosen Fällen verwendet wird. In diese graphische Darstellung bezog der Mathematiker Hermann Minkowski (1864 – 1909) die Effekte nach der Relativitätstheorie ein.
2. Raumzeit als philosophischer Irrweg
Allerdings war mit dem 1908 durch Minkowski vorgestellten mathematischen Modell von Anfang an die philosophische Idee der Identität von Raum und Zeit verbunden. Im Fachjargon wird auch von der M4 – Welt gesprochen. Diese Verwechslung von Mathematik und Wirklichkeit wurde nicht nur in Science-fiction-Romanen begeistert aufgegriffen, sondern hat auch zu abenteuerlichen philosophischen Spekulationen geführt.
Die Raumzeit beruht auf der weder philosophisch noch physikalisch begründeten Idee, dass Raum und Zeit identisch und miteinander austauschbar seien. Mit seiner Arbeit „Neue Theorie des Raumes und der Zeit“ (1901) galt der in Deutschland lebende und wirkende ungarische Philosoph Melchior Palagyi als Wegbereiter der Raumzeit, auch wenn er diese Gedankenkonstruktion eindeutig abgelehnt hat. Seine missverstandenen Formulierungen über die Einheit von Raum und Zeit haben den Anstoß gegeben für Minkowskis Idee.
Ein Teil der heutigen Naturphilosophie folgt den vermeintlich mathematisch abgesicherten Holzwegen der Relativitätstheorie und diskutiert die Raumzeit als Substanz. Wenn die Raumzeit absolut ist – was man aus der „Lorentz-Invarianz“ der so genannten Vierergröße der Raumzeit schließt – dann sei sie „Substanz“. Der Gedanke ignoriert nicht nur, dass Raum und Zeit nicht das selbe sind. Er setzt sich auch darüber hinweg, dass Raum und Zeit als Relationen nicht Dinge im Sinne der substantialistischen Auffassung sind. Weder Relationen noch ein mathematisches Gedankengebilde können sich in Substanzen verwandeln, weil auf sie die Lorentz-Gleichungen nicht anwendbar sind. Was Substanz ist, ist absolut im Sinne von invariant. Der Irrtum liegt in der Umkehrung, wonach alles was invariant ist, Substanz sei. Die wirklichen, objektiven Zeitrelationen sind im Gegensatz zu den relativen, subjektiven Zeitrelationen lorentz-invariant. Trotzdem bleiben sie Relationen.
Genauso aufschlußreich sind die kurzen Beiträge des Autors in seinem Blog Zeit und Relativität.
Siehe auch vom Autor im Blog von Ekkehard Friebe: Luitpold Mayr: „1911 – 2011 Hundert Jahre Zwillingsparadoxon“
- 25. November 2011
- Artikel